Wenn gefährdete Menschen ihre Meinung zur Energiewende äußern
Im Rahmen des Projekts 'Fair Energy Transition for All', das von der König-Baudouin-Stiftung koordiniert wird, wurden neunhundert schutzbedürftige europäische Bürger zur Energiewende befragt. In Belgien nahmen Corine Lorge und Bruno Daelens an den Fokusgruppen teil, in denen Menschen in prekären Lebenslagen zu energiebezogenen Themen zu Wort kamen. Ihre Schwerpunkte sind in den Alltagsschwierigkeiten verankert und betreffen vor allem das Thema Wohnen.
"Bei Obdachlosen und Menschen in prekären Situationen denkt man immer, dass sie sich nicht für den Klimawandel interessieren. Dennoch ist das Interesse da." Diese Feststellung trifft auf Corine Lorge zu, die früher als Betreuerin beim gemeinnützigen Verein Solidarités Nouvelles in Charleroi tätig war. Corine hatte selbst mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. In diesem Zusammenhang nahm sie an den Diskussionsgruppen teil, die im Rahmen des Projekts "Fair Energy Transition for All" (FETA) organisiert wurden. Im Rahmen dieser Initiative wurden 900 schutzbedürftige Bürger in neun europäischen Ländern befragt, um ihre Bedenken in Bezug auf Wohnraum, Energie, Mobilität und Klima an die politischen Entscheidungsträger weiterzuleiten. Die Teilnahme war jedoch nicht von vornherein sicher, denn "das Bewusstsein für klimatische Herausforderungen ist zwar vorhanden, hat aber in ihrem Leben keine Priorität", erklärt Corine Lorge.
Diese Feststellung trifft auch auf Bruno Daelen zu. Auch er nahm an den Diskussionsgruppen teil und berichtete von den zahlreichen Erlebnissen gefährdeter Bürger, die er im Rotkreuz-Sozialladen in Stavelot, wo er arbeitet, gesammelt hatte. "Für sie ist es oft kompliziert, über den Klimawandel nachzudenken", sagte er. "Ihre Priorität ist die Wohnungsfrage. Diese Menschen haben mit zu kleinen, schlecht isolierten, unhygienischen und zu teuren Wohnungen zu kämpfen. Sie konzentrieren sich oft auf ihre Grundbedürfnisse, auf das, was sie täglich erleben, ohne unbedingt eine Verbindung zur Energiewende herzustellen."
Lust auf Teilnahme
Auch wenn der Kenntnisstand über Klima- und Energiefragen von Person zu Person sehr unterschiedlich ist, "ist der Wunsch, sich an einer Transitionsbewegung zu beteiligen, sehr wohl vorhanden", sagt Corine Lorge. Und das, obwohl viele Teilnehmende der Meinung sind, "dass man zuerst auf die großen Verschmutzer, die großen Unternehmen, die da oben, die Privatjets fliegen, ins Visier nehmen muss". Einige sagen, dass sie sich stärker an der Energiewende beteiligen würden, wenn sie die Mittel dazu hätten. "Sie erinnern daran, dass sie durch ihre Finanzen eingeschränkt sind", betont Bruno Daelen, "und dass es die finanziellen Schwierigkeiten sind, die sie davon abhalten, sich an dieser Energiewende zu beteiligen."
Energieintensive Wohnungen
Diese in den Jahren 2020 und 2021 durchgeführte Umfrage unter den Schwächsten unserer Gesellschaft findet heute einen besonders starken Resonanzboden, da das Thema Energie und der Preisanstieg die gesamte Gesellschaft betreffen. "Für Menschen in prekären Situationen sind die Energiepreise sehr wichtig. In einer unhygienischen Wohnung ist die Belastung durch die Rechnungen viel größer", fasst Corine Lorge zusammen. Die Senkung des Gas- oder Stromverbrauchs und die notwendige Isolierung von Gebäuden gehören mittlerweile zu den Zielen, die im Mittelpunkt der nationalen und europäischen Politik auf dem Weg zum Übergang und zur Unabhängigkeit im Energiebereich stehen. Die allgemeine Gebäudeisolierung ist jedoch mit Kosten verbunden. "Mehrere Menschen befürchten, dass die Isolierung ihres Gebäudes auf ihre Miete aufgeschlagen wird, die sie ohnehin schon als viel zu teuer empfinden", warnt Bruno Daelen.
Auch wenn viele Menschen in prekären Situationen den Sozialtarif in Anspruch nehmen, steigt die Gas- oder Stromrechnung für alle; besonders, wenn die Energie aus einem so genannten Thermosieb entweicht. Für die am meisten gefährdeten Menschen ist Energiesparen keine neue Idee. Bruno Daelen denkt an eine Haushaltshilfe, die mit Holzpellets heizt, die nicht dem Sozialtarif unterliegen und deren Preise ebenfalls dramatisch steigen. "Sie ist sich der Auswirkungen von Holz, Kohle und Gas auf die globale Erwärmung sehr wohl bewusst. Sie weiß auch, dass noch mehr gespart werden muss. Aber sie hat das Maximum dessen erreicht, was sie tun kann. Sie kann ihren Verbrauch nicht noch weiter reduzieren.“
Die Hoffnung auf Veränderung
Die Menschen in prekären Verhältnissen fürchten die Auswirkungen der Umweltschutzgesetze auf ihr tägliches Leben. Im Bereich der Mobilität führen Umweltzonen mit niedrigen Emissionen manchmal zu Spannungen. Bruno Daelen erwähnt die Geschichte einer jungen Frau, "die aufs Land zog, weil ihr Auto in Brüssel nicht mehr zugelassen war und sie sich kein neues leisten konnte". Auf dem Land stehen jedoch ganz andere Dinge auf dem Spiel: "Hier sorgt man sich vor allem darum, Vorteile der Straßenbahn- und Buslinien zu bekommen."
Daher wird die Tatsache, dass man befragt wird und sich zu diesen Themen äußern kann, unterschiedlich bewertet. Die Sorge, die diesen Äußerungen aus dem Alltag zugrunde liegt, ist die, dass oft nur geredet wird und somit kaum Einfluss auf die politische Entscheidungsfindung zustande kommt. Dies ist die Botschaft von Corine Lorge: "Viele Menschen in prekären Situationen haben den Eindruck, dass die Politiker nur reden wollen und nicht handeln werden. Sie bezweifeln, dass ihr Anliegen berücksichtigt wird. Aber immerhin haben sie ausgesprochen, was ihnen auf dem Herzen liegt". Bruno Daelens Schlussfolgerungen weichen leicht ab: "Die Menschen, die sich vom Klimawandel betroffen fühlen, glauben, dass die Energiewende von höheren Instanzen geregelt werden muss, angefangen beim Staat. Aber die Tatsache, dass sie nach ihrer Meinung gefragt werden, dass diese Meinung gesammelt wird und dann zu den leitenden Instanzen weitergeleitet wird, zählt. Viele Teilnehmer meinten: "Es bewegt sich doch etwas". Sie hoffen, dass ihr Anliegen berücksichtigt wird".
Über das Projekt 'Fair Energy Transition for All’.
Das 2020 auf Initiative der FRB gestartete Projekt 'Fair Energy Transition for All' (FETA) entwickelte ein System, mit dem 900 gefährdete Bürger in neun europäischen Ländern (Belgien, Bulgarien, Dänemark, Deutschland, Frankreich, Italien, Niederlande, Spanien und Polen) angehört wurden. Ziel ist es, die Interessen derjenigen zu berücksichtigen, deren Stimme bei der Entwicklung einer fairen Energie- und Preispolitik in der Regel nicht vertreten oder gehört wird.
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