Die Goffinet-Archive werfen Licht auf die belgische Kolonialgeschichte
Welche Bedeutung kommt dem Erwerb von historisch wichtigen Dokumenten und Archiven zu? Eine in der Tat große Bedeutung, sowohl im Bereich Geschichtsforschung - diese Dokumente ermöglichen ein besseres Verständnis des Kontextes und der Herausforderungen einer bestimmten Epoche - als auch für die Fragen der Gegenwart. Dies wird durch die Privatarchive der Könige Leopold I und Leopold II veranschaulicht, die die König-Baudouin-Stiftung vor fast 30 Jahren erworben hat und die heute eine zentrale Rolle bei den Arbeiten der parlamentarischen Untersuchungskommission zur Kolonialisierung spielen werden.
In den 1980er Jahren, als man noch davon ausging, dass all das für immer verloren war, wurden bei den Arbeiten zum Abbruch von Schloss Hyon, vormalig im Besitz der Familie Goffinet, unerwartet Dokumente und Archive von unschätzbarem historischem Wert gefunden. Adrien, Constant und Auguste Goffinet, Vertraute der Könige Leopold I und Leopold II, hatten unter größter Geheimhaltung einige tausend Dokumente von ganz besonderem Interesse aufbewahrt. 1993 hat der Fonds für Kulturerbe der König-Baudouin-Stiftung die gesamten Dokumente, bedeutende Zeugnisse unserer Geschichte, die man für immer verloren glaubte, erworben.
Eine große Vielfalt
Der Historiker und Verfasser zahlreicher Artikel und Veröffentlichungen Olivier Defrance ist der Autor des Verzeichnisses der Goffinet-Archive. „Die Archive decken hauptsächlich den Zeitraum der Herrschaft von Leopold II ab. Das älteste Dokument stammt aus dem Jahr 1811, das jüngste aus dem Jahr 1947. Die Archive bestehen aus zwei Teilen: den Arbeitsarchiven der Goffinets im Auftrag der königlichen Familie und den Archiven, die Leopold II ihnen persönlich anvertraut hat. In den Archiven ist so ziemlich alles enthalten: Briefwechsel zwischen dem König und seinen Beratern; Dokumente diplomatischer, politischer und städtebaulicher Art; Notizbücher; Reiseberichte; Eheverträge der königlichen Familie; Dokumente über den Kongo und die Kolonialverwaltung; Unterlagen zum Privatvermögen Leopolds II - mit dem er übrigens seine kongolesischen Unternehmungen finanziert hat...“
Insgesamt tausende Schriftstücke, die Olivier Defrance anderthalb Jahre lang mit der Unterstützung der Archivabteilung des Königlichen Palastes sorgfältigst aussortiert, geordnet und inventarisiert hat. „Zuerst einmal mussten alle Schriftstücke durchgegangen und dann je nach Art sortiert werden: Kabinettsnoten, Schriftwechsel des Königs, Buchhaltung... Wir sind bei über 1.800 Inventurnummern angelangt - wobei eine Nummer bis zu 100 Dokumente enthalten kann. Sie können sich also ein Bild der Menge der analysierten Dokumente machen.“
Die Goffinet-Archive sind gegenwärtig im Archiv des Königlichen Palastes hinterlegt und wurden bereits von zahlreichen Historikerinnen und Historikern eingesehen. „Sie sind jedoch nicht nur einigen wenigen Spezialisten vorbehalten“, verdeutlicht Olivier Defrance. „Sie sind für alle zugänglich.“ Diese Philosophie liegt auch der König-Baudouin-Stiftung sehr am Herzen, die nebenbei bemerkt auch die Restaurierung verschiedener Schriftstücke des Goffinet-Fonds, die in sehr schlechtem Zustand waren, finanziert hat. „Die Stiftung hat bereits die Restaurierung einiger wichtiger Dokumente unterstützt, wie z.B. des Reisetagebuchs Leopolds II nach Ägypten, das ebenfalls veröffentlicht wurde. Und es gibt noch andere, die zu zerbrechlich sind, um heute verwertet zu werden, und die restauriert werden müssen, um sie zugänglich zu machen.“
Ein sehr aktueller Widerhall
Die Goffinet-Archive werfen einerseits Licht auf die Gründerdynastie Belgiens, spielen jedoch andererseits auch eine bedeutende Rolle im Rahmen des parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Kolonialgeschichte Belgiens, der gerade seine Arbeit aufgenommen hat. „Die Dokumente, die sich mit der Kongopolitik Leopolds II befassen, ermöglichen ein besseres Verständnis der Mentalität und des Willens des Königs im Kongo, ein besseres Verständnis seines Handelns als Reaktion auf die Kritik an der Kolonialisierungspolitik“, so Olivier Defrance. „Ohne die Unterstützung durch die König-Baudouin-Stiftung für den Erwerb dieser Archive wäre unser historisches Wissen nicht auf dem Stand, auf dem es sich heute befindet. Es liegt daher im Interesse des parlamentarischen Untersuchungsausschusses, sich mit diesen Dokumenten eingehend zu beschäftigen.“ Dadurch wird ein zusätzliches und nuanciertes Licht auf die heikle Aufgabe geworfen werden, eine Vergangenheit zu untersuchen, die durch die Nachrichten der letzten Monate wieder Tagesthema ist.
Über den Fonds für Kulturerbe
Die König-Baudouin-Stiftung setzt sich für die Wahrung und den Schutz des belgischen Kulturerbes ein. Über ihren Fonds für Kulturerbe erwirbt sie Meisterwerke und bedeutende Zeugnisse unserer Vergangenheit, um diese an die zukünftigen Generationen weiterzugeben. Der Fonds für Kulturerbe zeigt über 25.000 Werke und tausende Dokumente und Archive von historischem Wert, die in öffentlichen Sammlungen im ganzen Land ausgestellt sind.
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